Modest Musorgsky (1839-1881)           

"Lieder und Tänze des Todes"
text: Arseny Golenishchev-Kutuzov (1848-1913)

1.      Wiegenlied
14.04.1875

Das Kind stöhnt...

die Kerze brennt nieder, Flackernd leuchtet sie matt im Raum.
Die ganze Nacht durch schaukelt die Mutter die Wiege und kommt selbst nicht zu Ruhe.
Im ersten Morgengrauen klopft behutsam der mitleidige Tod an die Tür!

Die Mutter fährt zusammen, blickt sich erschauernd um...

"Fürchte dich doch nicht, gute Frau! Schon schaut bleich der Morgen ins Fenster...
Du hast geweint, gewacht, gebetet und bist ganz erschöpft.
Schlummere ein wenig, ich wache für dich.
Du hast das Kind nicht beruhigen können. Ich singe ein schöneres Lied als du!" –

"Still! Mein Kind ist unruhig, wirft sich hin und her.Es zerreißt mir das Herz!" –

"Nun, in meinen Armen schläft er bald ganz sanft.
Eiapopeia, schlaf, schlaf!" –

"Die Wangen werden ganz blaß, der Atem wird schwächer... Ach, so schweig doch, ich flehe dich." –

"Ein gutes Zeichen, sein Leiden hört auf.
Eiapopeia, nun schlaf!“ –

"Fort mit dir, du Verfluchter. Mit deinen Liebkosungen raubst du mir mein Kind!" –

"Nein, ich schenke ihm friedliche Träume. Eiapopeia, mein Kind!" –

" Hab Erbarmen, warte doch einen Augenblick, sing nicht zu Ende dein grässliches Lied!" –

"Siehst du, er ist eingeschlafen bei diesem leisen Gesang!
„Schlaf, schlaf, schlaf! …
 

"Lieder und Tänze des Todes"

2.     Serenade
11.05.1875

Zauberhaft zarte Frühlingsnacht, von blauen Schleiern verlangen...

Ans Fenster gelehnt, lauscht eine Kranke dem Raunen der nächtlichen Stille.

Ihre glänzenden Augen finden keinen Schlaf, das Leben ruft zum Genuß, 

doch unterm Fenster im Schweigen der Nacht singt der Tod eine Serenade: 

"Gefangen bist du in trostlosem Dunkel. Und deine Jugend welkt dahin: 
dein unbekannter Ritter will ich sein. Dich mit wundersamer Kraft befreien. 

Steh auf und sieh dich an: Voller Schönheit strahlt dein Gesicht.
Deine Wangen sind rot, von deinen Locken wird dein Körper wie von einer Wolke eingehüllt. 

Deine Augen leuchten blauer als der Himmel, brennen heißer als Feuer;
heiß wie Mittagsglut zittert dein Atem. 

Du hast mich bezaubert, 

du fandest Gefallen an meiner Serenade, deine Stimme hat mich gerufen. 

Dein Ritter kam und bringt dir das schönste Geschenk: es schlägt die Stunde die Glückseligkeit. 

Zart ist deine Gestalt, dein Atem macht mich trunken... 

O, ich ersticke dich in meinen Armen, 

höre mein Liebeslied! … 

Schweig!... 

Du gehörst mir!"          
 

"Lieder und Tänze des Todes"

3.     Trepak
17.02.1875

Wald und Wiesen, alles ringsum verlassen, der Schneesturm weint und stöhnt. 

Es scheint, als ziehe durchs Dunkel der Nacht dort in der Ferne ein Leichenzug;

ja doch, sieh nur!

In der Dunkelheit hat der Tod einen Bauern umarmt und liebkost,

mit dem Trunkenen tanzt er nun den Trepak und singt ihm ein Lied ins Ohr:
 

"Hoi, Bäuerchen, armes Alterchen, hast zu viel getrunken, taumelst auf dem Weg. 

Und der Schneesturm bracht los und tobte, hat dich vom Feld ab in den dichten Wald getrieben. 

Du bist traurig, verzweifelt, hast keine Kraft, leg dich hin, ruh dich aus, schlaf ein, mein Lieber! 

Ich deck dich zu mit wärmendem Schnee und lasse die Flocken um dich wirbeln. 

Bereite das Bett, Schneesturm, aus deinen Schwanenfedern! 

Hoi, sing doch, singe doch, Sturmwind! 

Ein Lied, ein Wiegenlied, das bis zum Morgen dauert, damit der arme Teufel in tiefem Schlaf versinkt. 

Hoi! Ihr, Wälder, Himmel und Wolken, Nacht und Wind, ihr wirbelnden Schneeflöckchen! 

Webt eine Decke aus daunenweichem Schnee, mit ihr will ich den Alten zudecken wie einen kleinen Jungen.

Schlaf, mein lieber Freund, glücklicher Bauer. 
Der Sommer ist da, und alles steht in Blüte!
Auf die Felder scheint lächelnd die Sonne,
und die Sicheln kommen zügig voran.

Lieder erklingen, Tauben fliegen umher.“     
 

"Lieder und Tänze des Todes"

4.     Der Feldherr
05.06.1877

Die Schlacht tobt, Rüstungen blitzen, Die gierigen Kanonen dröhnen.

Die Heere stürmen, Pferde schnauben, rote Flüsse strömen in den Tälern. 

Der Mittag brennt, die Kämpfe lodern; Die Sonne sinkt, der Kampf wird wild.

Im bleichen Abend glüht der Hass noch heißer zwischen den Feinden. 

Die Nacht fällt schwer aufs Schlachtfeld nieder, die Heere weichen in den Schatten...

Und alles schweigt; im Nebel der Nacht erheben sich Klagen gen Himmel. 

Da, vom Mondlicht klar erhellt, auf seinem schlanken, knöchernen Ross,

Im weißen Glanz der bleichen Gebeine, erscheint der Tod in der Stille des Grausens. 

Den Schmerzensschreien, den Gebeten lauschend, von stolzem Triumph erfüllt,
Reitet er, wie ein Feldherr, mit majestätischem Blick um das Schlachtfeld. 

Auf einem Hügel hält er inne, 
Schaut sich um, lächelt gelassen...
Und über die weite, blutige Ebene ertönt seine schicksalhafte Stimme: 

Die Schlacht ist vorbei! Ich habe gesiegt! Vor mir habt ihr euch alle gebeugt, ihr Kämpfer!

DAS LEBEN HAT EUCH VERFEINDET, ICH HABE EUCH VERSÖHNT!

Steht auf, ihr Toten, und tretet zum Appell an! Zieht in feierlichem Marsch an mir vorbei,

Ich will mein Heer zählen. 
Dann legt eure Gebeine in die Erde,
Süß ist die Ruhe in der Erde nach dem Leben!

Jahre werden unsichtbar Jahr um Jahr vergehen,
In den Menschen wird auch jede Erinnerung an euch verblassen.

Doch ich werde euch nicht vergessen!
Zu Mitternacht werde ich über euch feiern!

Mit meinem schweren Tanz stampfe ich die feuchte Erde,
so schwer, dass eure Knochen niemals mehr aus dem Grabesschatten entweichen. 

Damit ihr nie wieder zur Erde zurückkehrt!“
 

"Sanft schwebte die Seele durch himmlische Höhen" 

1877, published 1882,
Aleksei Tolstoy (1817-1875)

Sanft schwebte die Seele durch himmlische Höhen, 
Traurig senkte sie nieder die Wimpern zur Erde.

Tränen, die fielen, wurden zu Sternen, 
Lang und hell zog ein Schweif sich hinter ihr her.

Sanft fragten die Sterne, die ihr begegneten, sie:

„Warum bist du so traurig, und was bedeuten die Tränen in deinem Blick?“

Sie sprach zu ihnen: 

„Ich habe die Erde nicht vergessen.
Denn viel Kummer und viel Leid ließe ich dort zurück.

Hier seh ich nur Seligkeit und Freude,
Die Seelen der Gerechten kennen weder Schmerz noch Zorn.

O, lass mich, mein Schöpfer, zurück zur Erde wieder,

Es gäbe noch jemanden, den ich bedauern und trösten könnte!“        
 

© Die deutsche Fassung der Liedtexte, bei der die wörtliche Nähe zum russischen Originaltext im Vordergrund stehen soll und damit häufig auf eine geschliffene Reimform verzichtet, hat Konstantin Gorny erstellt.
Die sprachliche Bearbeitung und stilistische Feinabstimmung wurden von Wolfgang Wiechert vorgenommen.

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